Rand und Band
Mittwoch, 25. Januar 2023

Nur um es gesagt zu haben: Deutschland führt seit heute einen Angriffskrieg gegen Russland. Widerrechtlich und nicht in meinem Namen.

Sonntag, 15. Januar 2023

Das Sehen, das Staunen, das Schrecken (frei nach Camille Henrot)

Mein Fenster zum Innenhof verrät es mir. Es ist wieder die Zeit, in der Nachts die Müllcontainer nach Essbarem durchwühlt werden. Es sind wieder auffällig viele Alte und sehr Junge. Es herrscht wieder diese Freiheit, die zu Coronazeiten mit Fackeln verteidigt wurde, als sie Gefahr lief, unter den Schutzmaßnahmen einen Blick lang aus den Augen zu geraten, um den Schein einer anderen zu erheischen. Jetzt haben sie sie wiedergewonnen, die nicht weg war, die ihrige Freiheit, ihr Dasein in Leistung für Lohn bemessen, genannt Arbeit, störungsfrei in der Produktion des prekären, wo der Zahltag das Existenzrecht regelt, die Einen noch lässt und Andere zum Müll befördert. Wo das Drinsein das Herausfallen produziert und das Herausfallen das Drinsein auf Raten.

Die Hoffnung, von der Bloch spricht, hat ihren gnostischen Nexus verloren; der Kredit, von der sie zehrte, ist aufgebraucht. Bloch müsste radikal umgeschrieben werden. Hoffnung heute ist zugekürzt aufs hoffentlich Drinbleiben, darauf, verwertbar zu sein und bitte zu bleiben, um der Entwertung zu entrinnen. Lieber die Anderen raus als mich, weitermachen um des Rechts auf Verwertung. Dafür werden Geschichten gestrickt, die den Eigenwert polieren, ihn erhöhen zum unabdingbar Guten, kontrastiert gegen zum Schlechten Stigmatisiertes.

Von Hoffnung zu reden, ist mehr als prekär geworden, ein Glaube, dessen spirituelle Substanz erloschen ist wie die Flamme einer abgebrannten Kerze. Nicht der Glaube an das Noch-nicht im Wir, sondern der des Noch-nicht meines Selbstverwertungsoptimums. Wie die Rauchfahne, die von der einstigen Flamme zeugt, ist es die Zeit der Kapitulation, die auf die erloschene Hoffnung folgt. Es ist der Rauch um das Nichts, und davon mehr, als der Kapitulation einsichtig zu sein.

Dienstag, 20. Dezember 2022

Man schmückt die eigene, brüchig gewordene Lebensweise mit blau-gelben Flaggen und nimmt Putins Krieg nicht als Anlass zum Zweifel an einer vom Westen dominierten Weltordnung, sondern zu ihrer Bekräftigung. Der ukrainische Widerstand gegen einen wild gewordenen russischen Autoritarismus wird untergründig kurzgeschlossen mit einem Kampf für jene westliche Gemeinschaft, deren Ortskräfte in Afghanistan immer noch vergeblich auf Ausreise warten. So können sich die politischen Eliten sanieren und auf dem Rücken der angegriffenen Ukrainer:innen den moralischen Druck erhöhen, ihrer von der NATO garantierten „Werteordnung“ beizutreten.

Die dabei stattfindende, skurrile Umwertung der Werte, in der die NATO sich zum Verbündeten von dekolonialen Kämpfen stilisiert und Russland zu ihrem Außen erklärt, obwohl dessen gegenwärtige Verfassung zu nicht unerheblichen Teilen die Handschrift des Westens trägt, sind nur vor dem Hintergrund der moralischen Entpolitisierung und unkritischen Enthistorisierung des Tagesgeschehens möglich. Sie sind nichts anderes als eine schleichende Zerstörung der Vernunft im Namen des Guten. (www.medico.de)

Dienstag, 22. November 2022

A palavra de que eu gosto mais é não. Chega sempre um momento na nossa vida em que é necessário dizer não. O não é a única coisa efectivamente transformadora, que nega o status quo. Aquilo que é tende sempre a instalar-se, a beneficiar injustamente de um estatuto de autoridade. É o momento em que é necessário dizer não. A fatalidade do não - ou a nossa própria fatalidade - é que não há nenhum não que não se converta em sim. (José Saramago: „Folha de S. Paulo“)

Das Wort, das ich am liebsten mag, ist Nein. Es kommt immer eine Zeit in unserem Leben, in der es notwendig ist, nein zu sagen. Nein ist die einzige wirklich transformative Sache, die den Status quo leugnet. Das, was ist, neigt immerfort dazu, sich selbst zu installieren, um ungerechterweise von einem Status der Autorität zu profitieren. Es ist der Moment, in dem es notwendig ist, Nein zu sagen. Das Verhängnis des Nein – oder unser eigenes Verhängnis – ist, dass es kein Nein gibt, das nicht zu einem Ja wird.

Am 16.11., vor 100 Jahren, wurde José Saramago geboren.

Sonntag, 20. November 2022

Nach der Weltklimakonferenz in Scharm el Scheich fordert Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger verstärkte Anstrengungen der Wissenschaft im Bereich Klimaschutz. (www.deutschlandfunk.de, 20.11.)

Klar, woran es mangelt im Bereich Klimaschutz, ist Wissenschaft. So wird's sein.

Mittwoch, 16. November 2022

Rachael und Deckard nach dem Voight-Kampff–Test.

Samstag, 12. November 2022

Aber es ist der Kapitalismus und nicht die angebliche Wokeness, was bekämpft werden muss. (Peter Nowak, www.heise.de, 22.11.2022)

Irgendwer oder -was übernimmt offenbar immer die Büßerfunktion. Als Corona aufkam, galt der Kampf einer sogenannten Hohlerde und ihrem teuflischen Bill Gates mit seiner Schwester Merkel, beides Kinder von olle Hitler, sagte man. Statistik und Mathematik waren nun Zahlenmystik und das Virus eine Erfindung der geheimen Weltdiktatur, um die Untertanen zu unterjochen. Dem war und ist bis heute nicht beizukommen, um wenigstens halbwegs auf den Krisencharakter des Kapitals, seinen Zirkulationsprinzipien und ihren Wechselwirkungen auf Mensch und Natur abzuheben.

Als Adorno von subjektiver und objektiver Vernunft sprach, um letztere zu erinnern, rief er nicht dazu auf, den Verstand an der Garderobe abzulegen. Solche esoterisch-spinnigen Verirrungen haben, folgt man der Kritischen Theorie, ihre tiefliegende Ursache in einer Zerissenheit des bürgerlichen Subjekts, das mit erfolgreicher Etablierung seiner Ordnung umso mehr einen Sinn in seiner neuen Wirklichkeit entbehrt:

[Bis ins 18. Jahrhundert hatten Nacht und Finsternis] nur die Schattenseite der Schöpfung markiert, das undurchdringliche Chaos vor Gottes erstem Wort ›Es werde Licht‹. Dort fehlte es an allem, was für den Kosmos selbstverständlich war: Plan, Ziel, Vorhersagbarkeit, Vernunft. Und eben solche Selbstverständlichkeiten gerieten mit den technischen, wirtschaftlichen und politischen Beben jener revolutionären Epoche mehr und mehr ins Wanken. Die Dunkelheit des Chaos griff aus dem Abseits ins Diesseits aus. […] Elegante Leser bei Kerzenlicht, schmachtende Mädchen und meditierende Mönche bei Mondschein gehören zum Stammpersonal des romantischen Stimmungsbildes. (M. Wullen, zit. nach G. Schweppenhäuser: Ästhetik, 2007)

Ähnliches lässt sich freilich auch vice versa verorten, wo ein teuflischer Putin den vorgeschobenen Platzhalter stellt, um sich nicht analytisch mit der Architektur der beteiligten Großmächte und ihrer materiellen Zirkulationssphäre, das heißt ihren wirklichen Zwängen auseinanderzusetzen.

Mir war die letzten Jahrzehnte es immer wichtig, wie hier dargelegt auf jene darunter liegenden Motive zu verweisen, um den problematischen zivilisatorischen Kern zu bergen, ihn begreifbar und damit greifbar, also angreifbar und gestaltbar zu machen. Das war es in etwa, was ich als meine linke, emanzipatorische Arbeit verstand. Spätestens zur Coronazeit hat man mir verdeutlicht, dass man viel zu sehr am Nebel hängt, um ihn zu lüften. Na dann …

Martin Walkyier soll gesagt haben:

Ich habe jahrelang versucht, gegen die Zerstörung der Welt anzusingen, ich kann einfach nicht mehr. Mittlerweile glaube ich, die Welt ist total abgefuckt und wird in zehn bis zwanzig Jahren in einem riesigen Pool aus Schleim untergehen. Wenn der Weltuntergang kommt, werde ich ihm ins Gesicht lachen!

Der rohe Ausdruck passt natürlich zu einem Heavy-Metal – Gott. Ich würde es anders formulieren: Ich kann mich inzwischen gut zurücklehnen und das Spektakel mit wohligem Schauder genießen. Als Narr unter Narren.

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