Rand und Band
Samstag, 11. September 2021

Hochliteratur: "Yummy Fur" von Chester Brown

Unlängst habe ich auf dem Privatflohmarkt in einem Innenhof der ferneren Nachbarschaft ein paar ansehnliche Stapel Comics entdeckt. Stichprobenartig spicke ich hier und da hinein. Viele Hefte sind älteren Datums, achtziger und neunziger Jahre, und nicht aus dem Hause Walt Disney. Gute Gründe, hängen zu bleiben und die Stapel zu durchwühlen. Schließlich greife ich mir ein paar Ausgaben "Yummy Fur" von Chester Brown heraus, die ich für ein paar Euro und eine längere Fachsimpelei mit dem nerdig-netten Verkäufer erstand. Chester Brown war mir nicht unbekannt, ich hatte von ihm vor etlichen Jahren "Paying for it" gelesen, ein semiautobiographisches Comicbuch, das für käuflichen Sex wirbt, statt den wie er es nennt 'erdrückenden' in romantischen Paarbeziehungen. Das Comic machte hierzulande wenig Schlagzeilen, da aber in Kanada – Chester Brown ist Kanadier – die Prostitution weitgehend illegalisiert ist, sorgte es dort für einigen Wirbel. Im Zeitalter verkrampfter Hashtag-Hysterie und ihren vorschnellen Verurteilungen ist das Thema sicher ein gewagtes Terrain für die Reputation eines Autoren. Wir sehen, Chester Brown und Provokation gehen gut zusammen.

Nun habe ich also "Yummy Fur" in den Händen. Wir schreiben die achtziger Jahre. Chester Brown, wenig älter als ich, war damals mitte zwanzig. Das Internet spielte gesellschaftlich keine Rolle, das Social Web war längst noch nicht geboren und Hashtag-Gewitter gänzlich unbekannt. Jugendkultur, Agitprop oder einfach nur irgendwas mit Anti-Establishment um der befreienden Provokation willen, bedienten sich analogen Kanälen, um sich auszudrücken. Zur analogen Wirklichkeit existierte tatsächlich keine Alternative. Über dem Meeresspiegel war die Wirklichkeit ähnlich stumpf, reaktionär und dumm, wie sie heute ist. In den USA war es die Regierungszeit Reagans, danach folgte George Bush senior, dafür gab es bei uns nichts als Kohl. Im Fernsehen gaben sich Kojak und Derrick die Klinke in die Hand und Samstag war Autowaschen und Badetag. Über allem schwebte der Kalte Krieg und der sonntägliche Duft von Zwiebelrostbraten. So lief die Gesellschaft über dem Meeresspiegel, und wir wissen, Scheiße schwimmt bekanntlich immer oben. Unter dem Meeresspiegel existierten versprenkelt mediale Subkulturen. Wo oben Scheiße zur Alltagskultur veredelt wurde, setzten subalterne Bereiche sich mit der Sprengung (ir-real oder metaphorisch) der ganzen Scheiße auseinander.

Jugendliche Subkulturen erfüllten in der analogen Ära eine subversive Funktion. Die Erwachsenen verstanden nicht deren Codes, der mediale Zugang war ihnen weitestgehend verschlossen, umso mehr dienten sie der Jugend als eigene Sphäre zur Einübung in Auflehnung. Anders in der digitalen Gegenwart, wo der Twitter-Storm gerade aufs Massenspektakel abzielt. Allerdings kam Subkulturen auch damals nicht jener Stellenwert zu, den Marcuse ihnen so gerne andichtete, nämlich dass sie in der Lage wären, die herrschende Kultur von innen heraus zu sprengen. So leicht macht es einem die Gesamtscheiße eben nicht.

Und bei Scheiße sind wir auch schon mitten in Chester Browns "Yummy Fur". Abgesehen von den Titelbildern sind die Panels ausschließlich schwarzweiß. Der Strich ist minimalistisch aber sehr gekonnt. Chester Brown ist ein begnadeter Comic-Zeichner. Inhaltlich geht es darin auch um Scheiße, sehr viel davon, im übertragenen Sinne von anstößigem Blödsinn, aber auch ganz unumwunden um Fäkalien. Eine wiederkehrende Figur ist Ed, der Clown, über den später eine eigene Edition entstand. Ed ist eine tragikomische Figur, er kommt irrtümlicherweise für den Diebstahl einer abgerissenen Hand in den Knast, dessen Zellennachbar an fürchterlicher Scheißerei leidet, bis die ungeheure Fäkalienmasse das Gefängnis sprengt. Das verhilft Ed zwar zur Flucht, aber dafür ist er ziemlich beschissen dran. In einer anderen Geschichte wird ein Mann verhaftet, dessen Pimmel genauso aussieht wie der Präsident. Dieser, Reagan, wird alarmiert. Er, vor allem seine Ehefrau, sehen sich die Sache genauer an ...

In "Yummy Fur" gibt es Rattenplagen, Aliens, einen fliegenden Frankenstein als Superman, promiskuitive Schweinereien, Sex und Tod. Und Scheiße. So geht es am laufenden Band. Die Einzelgeschichten bleiben teils isoliert voneinander, teils laufen sie zusammen zu einer größeren. Wem MAD gefiel, aber noch zu intellektuell war, der ist mit "Yummy Fur" bestens bedient. Es ist eine gute 80er-Jahre Trash-Comic-Reihe, die jüngere Generationen vermutlich kaum noch erträglich finden und manch Älterem vermutlich ein "Ach du Scheiße" entfahren lässt.

Sie sind nicht angemeldet