Rand und Band
Samstag, 24. Juli 2021

Asozialität im Tierreich als Überlebensvorteil bei knappen Ressourcen:

Soziales Zusammenleben mag nach menschlichen Maßstäben ein uraltes Phänomen sein, aber in der gesamten Evolution der Insekten stellt es eine relativ neue Entwicklung dar, die erst seit der Hälfte ihrer gesamten erdgeschichtlichen Existenz besteht. Die Insekten gehörten zu den ersten Lebewesen, die vor gut 400 Mio. Jahren während des Devons das Land besiedelten. […] Die ersten Termiten tauchten wahrscheinlich vor 200 Mio. Jahren während des Juras oder der frühen Kreidezeit auf; die Ameisen, sozialen Bienen und Wespen erschienen etwa 100 Mio. Jahre später in der Kreidezeit. Erst zu Beginn des Tertiärs vor 50 bis 60 Mio. Jahren begannen die eusozialen Insekten und vor allem die Ameisen und Termiten unter den Insekten vorzuherrschen.

Allein das Ausmaß dieser geschichtlichen Entwicklung, die über das Hundertfache der gesamten Existenzdauer der menschlichen Gattung Homo umfasst, stellt ein Paradoxon dar. Wenn nämlich das soziale Zusammenleben so große Vorteile für Insekten hat, warum hat sich sein Durchbruch dann um 200 Mio. Jahre hinausgezögert? Und warum sind heute, 200 Mio. Jahre nachdem sich diese Neuerung schließlich durchgesetzt hat, nicht alle Insekten eusozial? Besser ist es, diese Frage umgekehrt zu stellen: Welche Vorteile, die bis jetzt noch nicht genannt wurden, könnte solitäres gegenüber sozialem Leben haben? Nach unserer Ansicht ist die Antwort darauf, dass sich solitäre Insekten schneller fortpflanzen und besser mit begrenzten und kurzlebigen Ressourcen zurechtkommen. Sie nutzen die vorübergehend verfügbaren Nischen, die von den Ameisen und anderen sozialen Insekten übriggelassen wurden.

(B. Holldöbler, E. Wilson: Auf den Spuren der Ameisen, 2013)

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