Rand und Band
Montag, 3. Oktober 2022

Seit ich ungefähr 18 bin, gehe ich davon aus, dass ich keine Rente bekomme. Also keine Rente, die über die Miete […] hinausgeht.

Sagt Julia Schramm, 37, Autorin und Mitglied der Linken im „Freitag“.

Ich bin knapp 20 Jährchen älter, aber das Lichtlein ging mir in jenen Jahren auch auf. Daran hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Ich habe das Planen längst an den Nagel gehängt. Ich genieße lieber den Tag, so gut und lange es geht und wie er kommt. Die vertikale Mobilität (der Traum vom Aufstieg, dem sozialdemokratischen Credo vom 'harrten Arrbeiten', damit es die Kinderchen mal besser haben) galt nur für kurze Zeit und auch nicht verlässlich. Das ist allgemein bekannt, die Erklärungen für Armut - oder Entschuldigungen - wechseln. Gerade bietet sich der Krieg gegen das Böse© an, davor war es Corona, mal ist es 'der Ausländer', dann das Klima und von Zeit zu Zeit sind es die Alten, die den Wohlstand der Jungen wegfressen und wovon Frau Schramm spricht. Das ist nur eine Auswahl. All diese Thementrends kehren wieder, je nach Lage und manchmal auch nach Gusto, was die Medien gerade zu flatulieren gedenken.

Sieht man über einzelne Trends hinweg und sucht einen gemeinsamen Nenner, dann ist es politisch gewollte Armut. Keines der oben genannten Beispiele ist neu, zu keinem von ihnen gab es nicht lange im Vorfeld Warnungen und Lösungsansätze. Verkehrswende seit den 70ern, Energiewende dito, Natoauflösung nach dem Kalten Krieg statt Osterweiterung, Kollektivierung des Gesundheitswesens statt Privatisierung, Wohnungswesen dito, solidarische Gemeinwirtschaft statt ungezügeltem Wettbewerb usw.

Es gibt nur eine sehr kleine Anzahl von Nutznießern politisch gewollter Armut, die allerdings übergroße (Deutungs-)Macht hat, um die Mehrheit nach ihren Interessen zu erziehen.

Die Sonne scheint. Der Tag kann kommen.

Sie sind nicht angemeldet