Rand und Band
Sonntag, 15. Januar 2023

Mein Fenster zum Innenhof verrät es mir. Es ist wieder die Zeit, in der Nachts die Müllcontainer nach Essbarem durchwühlt werden. Es sind wieder auffällig viele Alte und sehr Junge. Es herrscht wieder diese Freiheit, die zu Coronazeiten mit Fackeln verteidigt wurde, als sie Gefahr lief, unter den Schutzmaßnahmen einen Blick lang aus den Augen zu geraten, um den Schein einer anderen zu erheischen. Jetzt haben sie sie wiedergewonnen, die nicht weg war, die ihrige Freiheit, ihr Dasein in Leistung für Lohn bemessen, genannt Arbeit, störungsfrei in der Produktion des prekären, wo der Zahltag das Existenzrecht regelt, die Einen noch lässt und Andere zum Müll befördert. Wo das Drinsein das Herausfallen produziert und das Herausfallen das Drinsein auf Raten.

Die Hoffnung, von der Bloch spricht, hat ihren gnostischen Nexus verloren; der Kredit, von der sie zehrte, ist aufgebraucht. Bloch müsste radikal umgeschrieben werden. Hoffnung heute ist zugekürzt aufs hoffentlich Drinbleiben, darauf, verwertbar zu sein und bitte zu bleiben, um der Entwertung zu entrinnen. Lieber die Anderen raus als mich, weitermachen um des Rechts auf Verwertung. Dafür werden Geschichten gestrickt, die den Eigenwert polieren, ihn erhöhen zum unabdingbar Guten, kontrastiert gegen zum Schlechten Stigmatisiertes.

Von Hoffnung zu reden, ist mehr als prekär geworden, ein Glaube, dessen spirituelle Substanz erloschen ist wie die Flamme einer abgebrannten Kerze. Nicht der Glaube an das Noch-nicht im Wir, sondern der des Noch-nicht meines Selbstverwertungsoptimums. Wie die Rauchfahne, die von der einstigen Flamme zeugt, ist es die Zeit der Kapitulation, die auf die erloschene Hoffnung folgt. Es ist der Rauch um das Nichts, und davon mehr, als der Kapitulation einsichtig zu sein.

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