Rand und Band
Freitag, 28. April 2023

Dirks Pattensammlung nimmt das ganze Regal ein und das Regal nimmt die ganze Wohnzimmerwand ein. Lückenlos. Die größte Rubrik umfasst seine 68er-Sammlung, das war seine Zeit. Ganz egal, mit welcher Musik wir anfangen, früher oder später landen wir in Dirks abgenudelter 68er-Zeitschleife. Immer. Mir soll es recht sein, die 68er waren in vielerlei Hinsicht, auch musikalisch, avantgardistisch. Sie waren eine bürgerliche Verjüngungskur, zwar anders intendiert, antibürgerlich, aber die Überreste ihres Scheiterns waren gut genug, dem nach der Nazizeit lädierten Antlitz, dem 'Lifestyle', einen ganz neuen Anstrich zu verpassen. Moden und habituelles Verhalten waren betont nonkonform, so sehr, dass ihre Nonkonformität zum neuen massenkonformen Imperativ heranreifte. Aus dem braunen Einerlei der Nazis wurde das bunte Vielerlei der Hippies, aus dem Strammstehen das Abhängen, aus dem Volksempfänger schließlich uferloses Senden aus 24/7-Anstalten. Der Markt reagierte auf den neuen Bedarf, oder war es umgekehrt? Der Arbeitsmarkt wurde zunehmend flexibilisiert, die Öffnungszeiten der Geschäfte aufgeweicht, die Pornos nicht mehr verdruckst unterm Ladentisch gehandelt und zerrissene Jeans einst sozialer Aussteiger zur Vorlage industriell vorgefertigter Markenkleidung. Die Utopie wurde zur Ware und als Ware die Utopie zur Illusion.

Dirk, der alte Nostalgiker, mag nicht, was ich sage. Wie immer an diesem Punkt zog er sein Gras hervor, das er sonst nur gegen sein Parkinson auffährt. Wie immer an diesem Punkt lege ich die alten Deep Purple auf. Und wie immer dauert es nicht lange, bis wir Frieden geben und selig auf den Pizzaboten warten.

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